Basisarbeit - Bedeutung, Anerkennung und politische Herausforderungen (2)

Shownotes

Im folgenden Interview sprechen unsere Moderator*innen Frau Dr. Renate Hauser und der Herausgeber des Personal Magazins, Rainer Straub mit Herrn Prof. Dr. Werner Widuckel, Lehrstuhlinhaber an der Universität Erlangen Nürnberg. Prof. Widuckel leitet dort den Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

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Ich freue mich jetzt auf unseren nächsten Gesprächspartner Prof. Dr. Werner Widuckel. Herr Widuckel bringt ja ganz unterschiedliche Perspektiven mit. Er hat die Sicht der Gewerkschaft und Betriebsräte schon gehabt in seinem Arbeitsleben. Er hat die Sicht des Vorstandes schon gehabt. Er hat die Sicht der Politik, und er hat jetzt auch die Sicht des Hochschullehrers. Ich möchte mit ihm gerne das Thema vertiefen, was Herr Bovenschulte und Renate zuletzt angesprochen haben, das Thema Qualifikation. Unser Arbeitsmarkt und die Zugänge zu den Jobs ist ja ganz stark bei uns über die berufliche Qualifikation geregelt. Ist das ein großes Hindernis für die Basisarbeiter, zu besseren, auskömmlicheren Jobs zu kommen, wie das in den Ausführungen von Herrn Bovenschulte anklang?

Ja, es ist zumindest mit dem Risiko von biografischen Brüchen verbunden. Das ist sehr eindeutig zu sehen. Wir haben ja nicht umsonst über 1 Million Menschen unter 30 Jahre, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, trotz eines Schulabschlusses. Wir können uns ja mal die Frage stellen, wo das herkommt. Die Statuspassage zwischen Berufsausbildung auf der einen Seite und Schule auf der anderen Seite, also der Übergang Schule-Beruf, das ist ein sehr fragiler Übergang, der dazu führen kann, wenn Sie in einem entscheidenden Zeitraum von zwei bis drei Jahren keinen Anschluss finden, dass Sie aus dem Berufsbildungssystem eigentlich vollkommen ausgeschlossen werden und überhaupt nicht mehr beachtet werden, und dann sind Sie mehr oder weniger darauf angewiesen, in angelernte Tätigkeiten zu gehen oder verschwinden sogar völlig vom Arbeitsmarkt und haben schon vornerein in Ihrem beruflichen Einstieg auch Schwierigkeiten, überhaupt an beruflicher Qualifikation, an beruflicher Qualifizierung teilzunehmen.

Bevor ich da vertiefen würde, wollte ich auf ein Projekt noch zu sprechen kommen, was Sie federführend mitaufgebaut haben. Ich möchte es für Publikum kurz erinnern, Auto 5000 war ein Projekt der Volkswagen AG, wo Sie Mitarbeiter rekrutiert haben, die Ungelernte waren, eigentlich Basisarbeiter, wo früher qualifizierte Facharbeiter beschäftigt wurden. War das sozusagen auch ein Versuch, dieses traditionelle Berufsbildungssystem zu modernisieren und aufzubrechen?

Also ich muss es ein bisschen korrigieren. Es waren keine Ungelernten, aber es waren Leute mit einer berufsfremden Ausbildung, also nicht automobilnah und mit Menschen, die entweder arbeitslos waren oder von Arbeitslosigkeit bedroht, Anfang der oder in den 90er Jahren natürlich ganz stark geprägt durch die Grenzsituation in Wolfsburg zum Land Sachsen-Anhalt und der Arbeitsmarktsituation im Osten, schon auch die Frage, wie kann man von Wolfsburg aus auch einen entsprechenden Beitrag leisten. Wir haben natürlich anhand unserer eigenen Beobachtungen im Betrieb festgestellt, dass wir eine Menge Menschen auch ohne abgeschlossene Berufsausbildung haben, die trotzdem sehr engagierte und gut qualifizierte Arbeit vollziehen, also dass es nicht immer nur an der formalen Ausbildung und an dem formalen Qualifikationsnachweis liegt, was dann dazu geführt hat, ganz besondere Rekrutierungswege auch zu wählen, also wie gewinne ich eigentlich Menschen für diese Tätigkeit, mit entsprechenden Online-Assessments als ersten Schritt, um erst mal zu gucken, welche Fähigkeiten und Kompetenzen sind eigentlich da. Das war sozusagen überhaupt der Schlüsselbegriff, erst mal zu sagen, wir halten uns nicht an Formalqualifikationen fest, sondern wir gehen in Richtung Kompetenzen, Engagement, wäre eine Geschichte, also die Bereitschaft, sich einzusetzen, auf der anderen Seite aber auch Problemlösungskompetenz, analytische Kompetenz, was eine ganz wichtige Fähigkeit ist. Da haben wir doch gesehen, dass wir ein wirklich sehr, sehr großes Potenzial an potenziellen Mitarbeitenden gewinnen konnten, die mit einer völlig automobilfremden Ausbildung dann in der Automobilproduktion dann auch bei Auto 5000 gelandet sind. Das war aber sozusagen nicht das Ende des Projekts.

Was war das Ende des Projekts?

Es ging ja dann um die Frage weiter, wie gestalte ich jetzt eigentlich für eine systematische Automobilproduktion auch einen systematischen Qualifizierungsprozess. Hier sind wir etwas anders vorgegangen, indem wir eben nicht gesagt haben, okay, wir binden jetzt die berufliche Qualifikation an den klassischen Erstausbildungsabschluss nach dreieinhalb oder vier Jahren, sondern wir haben die jeweiligen Anforderungen für die Tätigkeiten modularisiert und ganz stark im arbeitsintegrierten Lernen, in sogenannten Lernfabriken tatsächlich eingeübt, trainiert, gelehrt, gelernt, was die Frage der unmittelbaren Produktionsarbeit anbetrifft, der Problemlösung, der Analyse, der Sozialkompetenz, das heißt, das Arbeiten in Teams, was natürlich was ganz Wichtiges ist, also Kooperation und Kommunikation und dies sozusagen in den einzelnen Dimensionen auch so operationalisiert, dass am Ende auch ein Qualifikations-, ein Kompetenzprofil erkennbar wurde. Das hat dann über vier Stufen zu einem Zertifikat geführt der Automobilfachkraft, das im Übrigen mit der Industrie- und Handelskammer auch vereinbart worden ist, sodass diejenigen, die durch diese Ausbildung gegangen sind, auch sagen konnten, ja, ich habe am Ende auch etwas in der Hand, dass ich sozusagen nicht ausgewiesen bin als jemand, der Handlingstätigkeiten macht, sondern der ganz bestimmte Kompetenzen und Qualifikationen auch nachgewiesen hat und nachweisen konnte. Das wiederum konnte dann eine weitere Möglichkeit auch sein, in einfachere Instandhaltungstätigkeiten hineinzuwachsen, also sozusagen auch eine nächste Stufe darzustellen.

Halten Sie das für übertragbar, diese Erfahrungen, die Sie damals gemacht haben, jetzt für den Bereich der Ungelernten? Wenn man es etwas salopp ausdrückt, kann man sagen, das war ja ein Training-on-the-Job-Programm, wo man durch tatsächliches Training sich Qualifikationen erwirbt, die dann auch über Zertifikate sichtbar gemacht werden. Wäre das ein guter Weg, den man einschreiten kann?

Also wir müssen uns, glaube ich, mit der Frage des Begriffs von Ungelernten mal etwas kritischer auseinandersetzen. Ich sage jetzt mal ganz frech, es gibt keine ungelernten Menschen, sondern jeder Mensch bringt aus seinem Tätigkeits- und Fähigkeitsbereich bestimmte Kompetenzen mit, und es ist die Frage, finde ich, jeweils die anschlussfähige Tätigkeit, um tatsächlich Menschen über Helfertätigkeiten dann auch in einen beruflichen Status hineinzubringen. Also warum soll jemand in einer angelernten Funktion oder in der angelernten Funktion von pflegehelfenden Tätigkeiten nicht in einer Ausbildung in Richtung Krankenpflege tatsächlich weiterentwickelt werden können, warum soll dies nicht möglich sein? Also ich kann mir da durchaus bestimmte berufliche Laufbahnen auch vorstellen, allerdings nicht in allen Bereichen. Wenn ich mir jetzt etwa mal einen Gebäudereinigungsbetrieb etwa angucke, dann werden wahrscheinlich die Möglichkeiten, in weitergehende Qualifikationslaufbahnen hineinzuwachsen, doch eher begrenzt sein. Ich glaube, das soziale Umfeld und das Tätigkeitsspektrum, die sind da auch sehr, sehr unterschiedlich.

Bevor wir unser Gespräch fortführen, möchte ich noch mal das Publikum auffordern. Sie können sich jetzt mit Ihren Fragen an Herrn Widuckel gerne im Chat beteiligen, der Chat ist eröffnet. Sie sagen, es passt nicht überall, sozusagen solche Trainings und Zertifikate, aber wo es passt, sollte man es möglich machen. Brauchen wir damit auch eine Öffnung des Berufsbildungssystems?

Das brauchen wir mit Sicherheit. Also ich kenne wirklich aus meiner, ich sage mal, eigenen gewerkschaftlichen Funktion diesen sehr, sehr heftigen Streit darum, wie es eigentlich mit dem Berufsbildungssystem weitergehen soll, und natürlich kann ich diejenigen verstehen, die sagen, wir möchten ein vollwertiges Berufskonzept in der Erstausbildung erhalten und das nicht zerstören, um Berufsausbildung nicht zu entwerten. Wir müssen aber auch sehen, dass wir berufliche Entwicklungswege von Menschen haben, die einfach kleinere Schritte erforderlich machen, um tatsächlich auch zu bestimmten Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsschritten zu kommen, um dann sozusagen das, was ja hier im ersten Schritt auch deutlich geworden ist, den Kompetenznachweis auch tatsächlich erbringen zu können und deutlich machen zu können, welche Fähigkeiten und Qualifikationen die Menschen denn auch tatsächlich mitbringen. Also deshalb glaube ich, brauchen wir auch Zwischenformen in der beruflichen Erstausbildung bzw. in der beruflichen Bildung, um gerade auch solchen Menschen, die in berufsfremden Tätigkeiten arbeiten oder aus bestimmten Gründen den Anschluss an das berufliche Ausbildungssystem verpasst haben, denen auch eine Chance zu geben, in Richtung Qualifikation, in Richtung Qualifizierung weitergehen zu können.

Glauben Sie denn, dass, Sie haben ja schon angesprochen, die Diskussionen sind schwierig, weil wir Dinge, die wir über viele Jahrzehnte eingeübt haben und wo wir auch gesagt haben, hey, das ist auch ein Garant für unseren Erfolg, auch für unseren wirtschaftlichen Erfolg, auch unsere Berufsbildung, unsere duale Berufsbildung wurde weltweit bewundert, glauben Sie denn, dass es genug Kräfte gibt, die da zu einer Öffnung und zu einer Veränderung beitragen können?

Also ich glaube, die gibt es noch nicht. Also von daher gesehen gilt es daran, auch schon politisch zu arbeiten. Dazu hat Staatssekretär Böhning ja auch einiges gesagt. Ich bin aber auch der Auffassung, wir können uns das politisch und sozial nicht länger leisten, was wir hier tun, denn wir grenzen hier ein doch relevantes Potenzial von Menschen in Erwerbstätigkeit von Weiterentwicklungsmöglichkeiten aus und wir zeigen auch nicht wirklich, was sie können. Also wenn Sie sich mal das berufliche Kompetenzprofil einer Reinigungskraft etwa angucken, nehmen wir mal den Bereich der Industriereinigung, Sie reinigen eine Lackiererei, dann ist das nicht einfach nur Saubermachen, dann ist das ein hoch präzises Arbeiten, das hoch kooperativ ist, das mit ganz, ganz hohem Engagement geleistet werden muss und mit einer absolut hohen Zuverlässigkeit. Das sind sozusagen berufliche Tugenden und Haltungen, die werden einfach mitgenommen. Die tauchen sozusagen in überhaupt keinem Kompetenzprofil auf. Die werden überhaupt nicht bewertet, und ich sehe schon auch eine gewisse Situation oder sagen wir, auch ein gewisses Potenzial, dass die Unzufriedenheit dieser Menschen sich auch bahnbricht. Das Bundesarbeitsministerium hat ja eine Studie veröffentlicht, die ich jetzt auch gelesen habe, zur qualitativen Forschung von Menschen, die Basisarbeit machen und der ganz überwiegende Teil der dort Interviewten sagte, ich habe in die Politik und in die gesellschaftliche Entwicklung für mich überhaupt gar keine Hoffnung mehr, uns sieht doch sowieso keiner. Ich frage mich jetzt mal allen Ernstes, können wir und wollen wir uns so etwas leisten? Ich glaube, das können wir nicht. Es ist aber auch wichtig, dass wir mal lernen, die Arbeitswelt so zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht nur die Bereiche wichtig sind, die schick sind, mit New Work und mit Karriere und mit hast du nicht gesehen, sondern tatsächlich auch die gesellschaftliche Bedeutung dieser Arbeit tatsächlich deutlicher artikulieren und zum Ausdruck bringen. Das Nächste ist, um das auch noch zu sagen, diesen Menschen auch eine Stimme zu geben, also wir dürfen auch nicht in einer Art von Paternalismus verfallen, zu sagen, wir wissen schon, was für die Basisarbeitenden gut ist. Basisarbeitende wissen sehr häufig selber sehr genau, was für sie gut wäre. Also auch das ist etwas Wichtiges.

Danke an dieser Stelle, Herr Widuckel. Im Chat sind zahlreiche Fragen aufgelaufen, und die Leidenschaft beim Thema wird bei Ihnen auch sichtbar, das freut mich. Renate, willst du übernehmen, mit den Fragen aus dem Chat?

Also ein Frageblock ist besonders stark, der richtet sich jetzt nicht unbedingt an Herrn Widuckel, aber ich darf ihn trotzdem mal aufgreifen. Es geht um die Gemeinsamkeit der Basisarbeitenden, wer ist jetzt alles darunter zu verstehen, und das ist einigen nicht klar geworden. Ich zitiere: „Wenn die Gruppe von Reinigungskräften einfache Industriearbeiten bis hin zu qualifizierten Software-Nerds ohne Berufsabschluss reicht, wie kann sich da eine gemeinsame Identität entwickeln?“ Möchten Sie etwas dazu sagen?

Also ein Frageblock ist besonders stark, der richtet sich jetzt nicht unbedingt an Herrn Widuckel, aber ich darf ihn trotzdem mal aufgreifen. Es geht um die Gemeinsamkeit der Basisarbeitenden, wer ist jetzt alles darunter zu verstehen, und das ist einigen nicht klar geworden. Ich zitiere: Also ich glaube, wir werden sicherlich die Frage von Basisarbeitenden auch noch weiter differenzieren müssen. Also ich denke schon, und zwar anhand von drei Elementen. Das eine ist, dass wir uns den Charakter der beruflichen Tätigkeit genauer angucken müssen. Das Zweite ist, wir müssen uns angucken, welche Primärmacht haben eigentlich diese Gruppen, welche Vertretungsmächtigkeit haben sie. Das Dritte ist, wie identifizieren sich diese Gruppen selber. Ich glaube, da sind wir, ohne dass ich Ihnen jetzt ein vollständiges System anbieten kann, da sind wir noch nicht am Ende. Ich halte es auch für problematisch, das sozusagen alles unter den Begriff der Basisarbeit zu subsummieren.

Also ein Frageblock ist besonders stark, der richtet sich jetzt nicht unbedingt an Herrn Widuckel, aber ich darf ihn trotzdem mal aufgreifen. Es geht um die Gemeinsamkeit der Basisarbeitenden, wer ist jetzt alles darunter zu verstehen, und das ist einigen nicht klar geworden. Ich zitiere: Dann wird viel nach dem Thema Qualifizierung/Weiterbildung gefragt. Welche Verantwortung sehen Sie bei den Betrieben? Haben die vorrangig Verantwortung dafür?

Also ein Frageblock ist besonders stark, der richtet sich jetzt nicht unbedingt an Herrn Widuckel, aber ich darf ihn trotzdem mal aufgreifen. Es geht um die Gemeinsamkeit der Basisarbeitenden, wer ist jetzt alles darunter zu verstehen, und das ist einigen nicht klar geworden. Ich zitiere: Also die Betriebe haben mit Sicherheit eine ganz wesentliche Verantwortung, insbesondere auch natürlich größere Unternehmen. Wir stellen aber natürlich auch eins fest und das, glaube ich, muss man auch hier kritisch diskutieren, man kann sich ja mal die Frage stellen, warum Basisarbeitende denn Defizite in ihrer Vertretungsmacht haben, was Tarifverträge anbetrifft und was Betriebsräte anbetrifft. Wenn man sich diese Strukturen mal etwas genauer anguckt, dann wird man feststellen, dass dort Tätigkeiten betroffen sind, die überproportional von Outsourcing betroffen waren, die aus den großen Einheiten rausgedrängt worden sind in kleinere Einheiten, aus tariflichen Regelungssystemen rausgedrängt worden sind, aus betrieblichen Interessenvertretungssystemen herausgedrängt worden sind und das, was wir jetzt betrieblich wie gesellschaftlich tun müssen, ist, uns wirklich Vertretungsmodelle zu überlegen und auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Menschen wieder sowohl auf der Seite der Mitbestimmung wie auf der Seite von Tarifverträgen auch wieder eine Stimme bekommen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, und dann lässt sich die Verantwortung von Betrieben auch einlösen.

Also ein Frageblock ist besonders stark, der richtet sich jetzt nicht unbedingt an Herrn Widuckel, aber ich darf ihn trotzdem mal aufgreifen. Es geht um die Gemeinsamkeit der Basisarbeitenden, wer ist jetzt alles darunter zu verstehen, und das ist einigen nicht klar geworden. Ich zitiere: Eine weitere Frage, welche politischen, tariflichen, betrieblichen Maßnahmen sind notwendig, um Lebens- und Arbeitsbedingungen von Basisarbeitenden zu verbessern?

Also ein Frageblock ist besonders stark, der richtet sich jetzt nicht unbedingt an Herrn Widuckel, aber ich darf ihn trotzdem mal aufgreifen. Es geht um die Gemeinsamkeit der Basisarbeitenden, wer ist jetzt alles darunter zu verstehen, und das ist einigen nicht klar geworden. Ich zitiere: Also ich glaube, ein wichtiger Schritt ist tatsächlich, dass wir die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern müssen, das heißt, dass wir schneller einfach zu flächendeckenden tariflichen Regelungen kommen und auch Gewerkschaften nicht darauf angewiesen sind, in nicht-tarifgebundenen Gebieten so etwas wie einen Häuserkampf aufzuführen. Das wird am Ende so nicht funktionieren. Das Zweite, wir werden uns wahrscheinlich für bestimmte Betriebsformen und Betriebe auch neue Vertretungsmodelle überlegen müssen. Wir leben ja relativ stark, in so einer Welt bin ich auch groß geworden, dass wir sagen, ja, dann gibt es da halt einen Betriebsrat und der vertritt die. Was machen wir denn in Betrieben, wo es keinen Betriebsrat gibt? Und jetzt wäre ja die Frage, geben wir zum Beispiel einem Kollektiv von Einzelarbeitenden, meinetwegen in einem Reinigungsbetrieb, die Möglichkeit, von sich aus einen gewerkschaftlichen Vertreter zu beauftragen und zu sagen, verhandele du bitte für uns dieses Thema oder mit uns, um sich so auch einer kollektiven Stimme bedienen zu können. Also ich glaube, das, was wir heute institutionell mit dem Tarifsystem haben wie auch mit dem Betriebsverfassungsgesetz haben, ist noch keine Antwort darauf, um diese Beschäftigtengruppen wieder wirkmächtiger zu machen.

Ein weiterer Chat: Wir müssen endlich raus aus dem Widerspruch, dass sich Unternehmen und Politik an formale Qualifikationen orientieren, während immer mehr informell erworbene und eben nicht testierte Kompetenzen im Vordergrund stehen. Der Kompetenznachweis ist jedoch die zentrale Bremse, weil man sich dabei an formaler Überprüfung orientiert. Kommentar: Ein irrer Kreislauf.

Ein weiterer Chat: Also ich stimme dem Kommentar zu. Ich bitte aber auch, sich eins mal zu überlegen und sich auch selber kritisch zu prüfen. Denken Sie bitte mal alle an Ihre Kinder und jetzt fragen Sie sich mal, welchen beruflichen Lebensweg stellen Sie sich für Ihre Kinder vor? Ich bin mir ziemlich sicher, 90 Prozent sagen Studium, 10 Prozent sagen Berufsausbildung, und Basisarbeit sagt niemand. Eines der Grundprobleme, dass wir neben der Frage der Bedeutung von Formalqualifikation, insbesondere Fachqualifikation, das findet man ganz stark in den tariflichen Systemen auch, über die Entgeltbegründung haben, ist doch, dass derjenige Mensch, der Basisarbeit macht, sich für seinen Lebensweg rechtfertigen muss, weil man den Eindruck bekommt, dass die Krönung eines gelingenden Lebens der akademische Abschluss ist. Bei allem Stolz auf die Arbeit, mein Vater hat Jahrzehnte lang Einfacharbeit bzw. Basisarbeit gemacht und meine Schwester auch. Beide haben ihre Arbeit mit Stolz gemacht, aber beide haben auch gesagt, mein berufliches Ziel habe ich eigentlich so nicht erreicht. Ich glaube, wir müssen uns schon dann auch wirklich über die Frage des Stellenwerts dieser Arbeit unterhalten. Das ist das, was Herr Böhning mit Wertschätzung darlegt. Zum Zweiten müssen wir uns auch mal die Frage stellen, was verstehen wir eigentlich unter einem gelingenden Leben. Solange wir bestimmte Karrierevorstellungen und den akademischen Abschluss so verabsolutieren, darf man sich auch nicht wundern, dass in der sozialen Bewertung die Basisarbeit so weit hinten runterfällt.

Ein weiterer Chat: Ich darf mich jetzt erst mal bedanken. Es sind so viele Chats eingetroffen, dass wir noch zwei Stunden damit bestreiten könnten, dass Sie das alles beantworten.

Ein weiterer Chat: Auf jeden Fall freut es mich. Dann habe ich ja wenigstens eine Reaktion ausgelöst.

Ein weiterer Chat: Absolut, ja und noch die letzte Frage, nach Ihrer Erfahrung, gibt es unter den Basisarbeitenden so etwas wie ein Klassenbewusstsein?

Ein weiterer Chat: Das hängt sehr stark vom sozialen Umfeld ab. Dort, wo kollektive Interessenvertretungsformen üblich sind und wo es einen gemeinsamen Bezug auch etwa zu einer Gewerkschaft gibt, ist das durchaus so. Also ich kenne das ganz stark von Produktionsarbeiterinnen und Produktionsarbeitern in allen möglichen Branchen. Wir haben aber andere Bereiche, wo wir zum Beispiel ganz überwiegend 450-Euro-Arbeitsverhältnisse haben oder sogar 1-Euro-Jobs. Da wird es relativ schwierig mit dem Klassenbewusstsein, weil sich das Kollektiv nun kaum herausbilden kann, sozusagen das eine Voraussetzung dafür wäre, dass dieses Bewusstsein auch tatsächlich entsteht. Auch das ist sehr differenziert.

Ein weiterer Chat: Im Namen aller Chat-Einreicher- und Einreicherinnen, vielen Dank.

Ein weiterer Chat: Danke Renate für die Fragen aus dem Chat. Ich möchte mich bei Herrn Widuckel an dieser Stelle bedanken, für die engagierte Beantwortung der Fragen und freue mich, dass er in der abschließenden Podiumsrunde nochmals dabei ist.

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